Zwei-Klassen-Gesellschaft: Wenn der Radweg zum Kampfplatz wird
Radwege sind oft gut gemeint, aber miserabel gemacht: zu eng, zu holprig, vollgeparkt oder durch Ein- und Ausfahrten unterbrochen. Seit Jahren schon genügt die Fahrrad-Infrastruktur kaum mehr den Anforderungen des Radverkehrs. Doch auch der Mix ihrer Nutzer hat sich geändert: Schon längst sind echte Radfahrer zur Minderheit geworden. Es dominieren Pedelecs und E-Bikes, also motorbetriebene Zweiräder, die gesetzlich zwar als Fahrräder gelten, faktisch aber Krafträder sind. Und deren Fahrer sind dank Drittenergie ganz anders unterwegs, als reine Muskeltriebler.
Akku und Motor – Drittenergie verführt
Wer Kraft hat, will sie auch nutzen. Motorkraft wird im Gehirn in körperliche Potenz übersetzt und damit oft als ein Gefühl der Überlegenheit wahrgenommen. Vielleicht will man auch nur das technische Potenzial ausnutzen, das einem künstlichen Rückenwind verleiht und so schön schnell vorankommen lässt. Wie auch immer, es ist derselbe Mechanismus, der bereits in der übermotorisierten Automobilwelt zu beobachten ist: Drittenergie, sprich Motorkraft, verführt. Und in der Regel zu nichts Gutem, nämlich zu Raserei, riskantem Verhalten, Ungeduld, Geltungsdrang oder unsozialem Verhalten.
Biobiker und E-Kradfahrer – ungleicher Kampf um knappen Platz
Und der Trend zum E-Kraftrad ist ungebrochen. Auch auf den eher flachen Straßen Lübecks sind die Biobiker schon längst zur Seltenheit geworden, während E-Kradfahrer die Radwege bevölkern. Nun muss man wissen, dass die Fahrrad-Infrastruktur in durchschnittlichen deutschen Städten selbst zu Zeiten vor dem E-Bike-Boom schon viel zu mies und unzureichend war. Gebessert hat sich seither nur wenig, der Platz auf den Radwegen ist so unzureichend und schlecht, wie er es schon immer war.
Doch mit dem Drägen der E-Kradfahrer auf die knappen Flächen hat sich die Situation dort merkbar verschlechtert. Und das vor allem für die Fahrer echter Fahrräder, also jene, die sich klima- und umweltfreundlich nur mit ihrer Körperkraft fortbewegen.
Da ist zum Einen die frühere klassische Zielgruppe der E-Bike-Industrie, also die älteren und körperlich nicht mehr so leistungsfähigen Damen und Herren. Diese lassen zunehmend die Renterkutsche in der Garage stehen und erkunden mit dem Pedelec die Welt, was an sich eine begrüßenswerte Entwicklung ist. Auf den schmalen und holprigen Radwegen unterschätzen diese Leute aber gerne mal ihre motorunterstützte Geschwindigkeit, während sie ihre kognitiven Fähigkeiten überschätzen. Die Folge sind gefährliche Situationen und viele vermeidbare Unfälle.
Dann wären da die jüngeren Elektrofahrer. Diese könnten zwar oft locker ein Fahrrad benutzen, wollen sich wohl aber nicht körperlich anstrengen (was viele nicht davon abhält, sich zu trotzdem kleiden wie auf der Tour de France). Und zu guter Letzt die Muttis und Papis mit ihren motorisierten Lastenrad-Geschossen, die wahlweise ihren Nachwuchs zur KiTa oder den Getränkeeinkauf nach Hause transportieren.
Auch die letztgenannten Gruppen fallen häufig durch riskantes bis rücksichtsloses Fahren auf schmalen Radwegen auf. Besonders gerne überholt man die langsameren Biobiker auf der rechten Seite, was höllengefährlich ist. Oft schon habe ich erlebt, dass praktisch aus dem Nichts ein fettes Lastenrad ohne viel Abstand an mir vorbeigeschossen kam. Eine Gefahr für Leib und Leben, wenn man z.B. einem Schlagloch ausweichen muss. Auch sorgen einige Lastenradpiloten für das passende Autobahnfeeling auf Radwegen, wenn sie von hinten angerast kommen, dicht auffahren und drängeln. Klar, wozu hat man schließlich Akku und Motor an Bord?
Das Nachsehen hat der echte Radfahrer
Ansonsten ist mit der Totalelektrifizierung der letzten Bastion umweltfreundlicher Verkehrsmittel das Drängeln, Schneiden, prollige Überholen und asoziale Gefährden auch in der Fahrrad-Infrastruktur angekommen. Waren es früher „nur“ rücksichtslose Autofahrer, die Fahradfahrer gefährdeten, sind es nun ihre motorisierten Klone. Das Nachsehen hat der, der sich noch mit reiner Muskelkraft auf zwei Rädern fortbewegt, der Natur, Klima und Umwelt schon und dabei seine Fitness fördert. Eine groteske Fehlentwicklung, die für den Radverkehr ganz neue Risiken und Benachteiligungen bereithält, die sich nicht einmal ansatzweise in der Verkehrsplanung der Städte wiederfindet.
Auch Lobbyverbände wie der ADFC haben diese Entwicklung nicht nur verschlafen oder ignoriert, sondern fördern sie aktiv, indem sie in vorauseilendem Gehorsam gegenüber Gesetzgeber und Industrie die Elektrifizierung des Radverkehrs als vermeintlichen Segen feiern und damit den schwindenden Anteil echter Fahrradfahrer einem immer größeren Risiko aussetzen. Dass der ökologische Nutzen von SUV-E-Krädern und ähnlichen Geräten kaum vorhanden ist, dass der massenhafte Einsatz von elektrischer Energie und Akku-Werkstoffen im Gegenteil sogar Schäden verursacht, wird geflissentlich ausgeblendet.
Es ist wohl dringend an der Zeit für einen neuen Lobbyverband, einen für echte Fahrradfahrer.