Rollbare Indikatoren mangelnder gesellschaftlicher Kohäsion

Der Zusammenhalt (nicht nur) der hiesigen Gesellschaft bröckelt. Die Ursachen dafür sind vielfältig, zuvorderst dürften eine moralisierende und ideologische Regierungspolitik bei verengtem Meinungskorridor samt Feinbildschaffung (inklusive der damit verbunden sozialen Exklusion der betreffenden Personen aus dem gesellschaftlichen Leben) sowie die Prekarisierung vieler Lebensverhältnisse als Ausdruck einer zunehmenden Spreizung der Einkommensschere angeführt werden. Auch die sog. Multikrise, die den kulturellen und politischen Raum gleichermaßen betrifft, dürfte hier kräftig als Hintergrundvariable mitwirken.

Wie dem auch sei – und ohne hier allzu tief in die soziologische Materie einsteigen zu wollen-, eine Dimension des Konzepts der gesellschaftlichen Kohäsion ist die Gemeinwohlorientierung oder auch das gesellschaftliche Verantwortungsbewusstsein. Im Sinne einer Operationalisierung dieser Dimension könnte man nun die Gestaltung oder Behandlung des Sozialraums durch seine Bewohner heranziehen, die sich etwa in der Vermüllung eines Quartiers oder aber eben in der Menge der dort abgestellten Einkaufswagen ablesen lässt.

Der Mechanismus auf der motivationalen Ebene lässt sich leicht umreißen: In Ermangelung geeigneter Transportmittel (Auto, Fahrrad mit Packtaschen oder Anhänger, Lastenrad etc.) packt man seine Einkäufe eben in einen Einkaufswagen und schiebt sie damit bis vor die Haustür. Unabhängig von der Tatsache, dass dies bereits den Tatbestand des Diebstahls erfüllt, könnte man ja Fünfe gerade sein lassen und den Wagen später wieder zum Laden zurückschieben. Doch gerade das geschieht wohl immer seltener, ganz nach dem Motto „Ist ja eh nicht meiner“. Stattdessen lässt man die Dinger einfach vor der Haustüre stehen. Und genau das verlieht dem Quartier dann einen ganz besonderen Look, der irgendwie nach Ghetto, nach heruntergekommener Peripherie aussieht – und den letztendlich nicht nur die Bewohner, sondern auch Besucher ertragen müssen.

Fehlende Gemeinwohlorientierung zeigt sich also zunächst einmal in der Gleichgültigkeit gegenüber dem Erscheinungsbild des fokalen Sozialraums, und damit natürlich auch in der Negierung der eigenen Verantwortlichkeit für dessen Erhalt und Entwicklung. Es schwingt aber auch die Missachtung fremden Eigentums mit, da man sich in widerrechtlicher und missbräuchlicher Weise der Ausstattung von Supermärkten bedient. Um mich nicht falsch zu verstehen: Hier geht es nicht um eine mögliche finanzielle Beeinträchtigung von prinzipiell ausbeuterischen Handelskonzernen, die ihren Kunden ohnehin das Geld aus den Taschen saugen. Nein, es geht vielmehr um die Art des Umgangs miteinander, um die Akzeptanz etablierter Normen und den Grad der Verantwortlichkeit gegenüber dem eigenen Lebensumfeld.

In Lübeck-Marli ist mir dieses Phänomen besonders aufgefallen, dort haben sich sogar regelrechte Abstellplätze für Einkaufswagen gebildet. Nimmt man noch den überall herumliegenden Müll hinzu, wird der Niedergang des Quartiers besonders deutlich.