Last Christmas?
Es gibt da ja diese üblen Geschichten, Schilderungen von Menschen, die in ausweglosen Situationen kurz vor ihrem möglichen Tod noch einen furchtbaren Ohrwurm im Kopf hatten. Einem Ohrwurm wie etwa das unsägliche und milliardenfach runtergedudelte Last Chrismas von George Michael, der in den letzten Minuten eines Lebens eine eher niederschmetternde Antwort auf etwaige Sinnfragen darstellen könnte. So ähnlich dürfte es dieser Tage vielen Menschen angesichts der sich rapide zuspitzenden Ereignisse um den Ukrainekrieg gehen, wenn kurz vor dem Fest des Friedens jeder Anflug von Besinnlichkeit durch die durchaus reale Befürchtung vor einem Atomkrieg ausgetauscht werden dürfte.
Wahnsinnige und ihre Dämonen
Allen Beschwichtigungen von Berufspolitikern, ihren „Experten“ und den angeschlossenen Massenmedien zum Trotz, die den Willen und die Fähigkeit einer maximal provozierten Atommacht Russland zu einem ganz besonderen Sylvesterfeuerwerk in unseren Gefilden kleinreden und zu bagatellisieren versuchen, sollte selbst ein unterdurchschnittlich Begabter die gefährliche Brisanz der Lage glasklar erkennen können. Damit dürfte gleichzeitig jedes noch vorhandene Restvertrauen in halbwegs intakte kognitive Fähigkeiten unserer politischen Eliten zu Staub zerbröseln, denn es muss sich vollkommen zwangsläufig die Frage stellen, ob es nicht Wahnsinnige sind, die durch eine Kette von historischen Unfällen in wichtige Ämter gekommen sind und nun mit den Leben von Millionen Europäern spielen – mindestens.
Möglicherweise hilft uns auch die Psychoanalyse weiter, denn anstelle eines Wahns deutet vieles auch auf ein kollektives Überhandnehmen eines Destruktionstriebs hin, der als nach außen projizierte Äußerungsform des Todestriebes Thanatos eine bestimmte Sozialauswahl von Menschen befallen haben könnte – womit in erster Linie all jene Funktionsträger gemeint sind, die in ihren abgespaltenen Lebenswelten reihenenweise die mächtigsten antizivilisatorischen Dämonen heraufbeschwören.
Menschenverachtender Zynismus
Was mag den alten Demenzkranken geritten haben, als er in den letzten Amtswochen als US-Präsident die Freigabe US-amerikanischer Marschflugkörper auf das russische Kernland erlaubte? Oder besser, was mag die neokonservativen Drahtzieher hinter dem oft desorientierten Greis zu einer derartigen Schnapsidee bewogen haben? Eine wichtige Rolle spielte sicher die Wahl Donald Trumps zu seinem Nachfolger, denn der hatte bekanntlich damit geprahlt, den Ukrainekrieg in 24 Stunden beenden zu können. Nicht auszudenken für die neokonservativen Kriegstreiber, die den Konflikt zwischen beiden slawischen Bruderstaaten in bester Brzeziński-Tradition als prima Gelegenheit ansahen, mal eben Russland per westlich aufgepimptem Proxy-War in die Knie zu zwingen.
Die blutige Realität hatte sich jedoch – aller NATO-Propaganda zum Trotz – ganz anders gewendet, so dass die russische Armee seit geraumer Zeit Oberwasser in der Ostukraine gewonnen hat und beständig vorrückt. Gewiss, die Menschenverluste sind auf beiden Seiten fürchterlich, der Blutzoll für das strategische Kräftemessen des niedergehenden unipolaren US-Westens mit dem aufsteigenden und multipolar eingebundenen Russland ist schlichtweg antizivilisatorisch und menschenverachtend.
An dieser Stelle sei nochmal daran erinnert, dass der Ukraine-Konflikt zunächst als regionale innerstaatliche Auseinandersetzung mit Sezessionscharakter begonnen hatte und erst durch den Einmarsch der russischen Armee zum internationalen Konflikt avancierte, der bestimmten Kräften auf US-amerikanischer Seite sehr gelegen kam, um lang gehegte geostrategische Interessen an dieser rohstoffreichen (!) Schnittstelle zwischen Ost und West in die Tat umzusetzen. Tatsächlich hätte der Krieg auf den Istanbuler Verhandlungen im März 2022 mit hoher Wahrscheinlichkeit beendet werden können, wäre das westliche Interesse an einer nachhaltigen Schwächung Russlands nicht wichtiger gewesen, als Frieden und die Leben abertausender Menschen.
Doch wieder zurück zum mächtigsten Demenzpatienten der Welt, Joe Biden. Mit der Freigabe weit reichender US-Waffensysteme für die ukrainische Armee wurde in der Interimsphase zwischen zwei US-Präsidentschaften eine Qualität der Eskalation geschaffen, die die Gefahr einer direkten Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO deutlich erhöht hat. Um das einmal einzuordnen: Die Lage war bisher schon hochgefährlich, nie stand die Welt bisher so dicht am Rande des Nuklearkrieges. Und genau in dieser Lage packt die Wandermumie noch eine dicke Schippe obendrauf.
Eskalation im Stundentakt
Und es kam, wie kommen musste: Auch England und Frankreich zogen nach und erlaubten der Ukraine den Beschuss Russlands mit ihren Marschflugkörpern. Das ließ sich man sich in Kiew nicht zweimal sagen, nur wenige Stunden später feuerte der niedergehende Staat ein paar dieser Raketen tief ins russische Kernland hinein.
Parallel dazu brach sich in Berlin und auch anderswo der politische Infantilismus Bahn, an prominenter Stelle befürwortete etwa Außenministerin Baerbock die Freigabe westlicher Waffen für den Beschuss Russlands und beklatschte somit nicht nur die Fortführung des Sterbens in den Kriegsgebieten, sondern ebenfalls die erhöhte Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation zwischen zwei Atommächten. Mehr braucht man über das moralische Niveau dieser olivbraungrünen Ministerin nicht zu wissen. Ins gleiche Horn bläst ihr braungrüner Kollege Robert Habeck, der für den Fall einer Wahl zum Kanzler den Ukrainern sofort Taurus-Raketen liefern würde. Auch hier wieder die bewusste Inkaufnahme und Förderung des massenhaften Sterbens an der Front sowie eines übergreifenden europäischen Krieges mit Nuklearoption. Dass auch Christen einen gewissen Hang zum Töten haben können, beweist schließlich CDU-Chef Friedrich Merz, der tatsächlich glaubt, Herrn Putin ein Ultimatum stellen zu können, bei dessen Missachtung er die Ukraine mit Taurus-Marschflugkörpern beglücken würde. Auch hier wieder das infantile Spiel mit dem Feuer, sprich in letzter Konsequenz dem Leben von Millionen Menschen.
Russland indes antwortete postwendend, und zwar in Gestalt einer neuartigen Hyperschall-Mittelstreckenrakete namens Oreshnik, die mit einem Tempo von bis zu Mach 11 von keinem westlichen Abfangsystem erfasst werden kann. Nach dem Einschlag der (noch) konventionell bestückten Rakete in einer Waffenfabrik im ukrainischen Dnepropetrowsk verkündete der Kreml die neue Atomdoktrin, der zufolge auch solche Länder Ziel eines russischen Atomangriffs werden können, die von anderen Atommächten in aggressiven Handlungen gegen Russland unterstützt werden.
Doppelte Drohung
Damit reflektiert der Kreml exakt die aktuelle Situation im Stellvertreterkrieg, nämlich die Befähigung der Ukraine zu Angriffen auf das tiefere russische Innenland mit westlichen Waffensystemen, die zudem auch nur mit westlicher Manpower ihre Ziele in Russland treffen können. Der Angriff auf Dnepropetrowsk mit einer Oreshnik-Rakete ist zudem die unmissverständliche Botschaft an die Regierungen in Washington, London, Paris und Berlin, dass das nächste Ziel vielleicht auch Wiesbaden-Erbenheim, Rammstein oder das polnische Redzikow sein könnte.
Wie es aussieht, klatschen die hiesigen Politeliten fleißig Beifall zur rasanten Eskalation. Es werde schon nichts passieren, die Russen blöfften oder hätten nie die militärische Fähigkeit zu einem Schlag gegen den Westen, der sich in diesem Falle auf das europäische Kernland konzentrieren würde. Das wäre eine ähnliche Logik, wie die des vom Hochhaus stürzenden Lebensmüden, der kurz vor dem Erdgeschoss jubelt, dass bisher noch alles gut gegangen ist. Nur eben mit dem Unterschied, das die verantwortlichen Lebensmüden im Ernstfall sehr wahrscheinlich ihre sicheren Plätzchen in luxoriösen Bunkern in Übersee beziehen dürfen, während der Rest millionenfach verreckt.
Wie es scheint, ist die Ära menschlicher Zivilisation und Vernunft am Ende angelangt. Vielleicht gelingt noch ein Ausstieg aus der Eskalationsspirale, vielleicht gibt es noch Funken von Hoffnung und Zuversicht, vielleicht lohnt es sich noch, an Reste positiv-konstruktiver Aspekte menschlichen Wirkens zu glauben. Doch bis ein Beweis dafür greifbar ist, bleibt bloß der deprimierende Blick auf politische Verwahrlosung oben und desinteressierte Apathie unten. Ob die Leute ahnen, dass dieses Weihnachtsfest das letzte sein könnte? Last Christmas in real?