Demokratie: Von der Worthülse in den Abfalleimer

Muss ich das jetzt wirklich betonen? Ich muss wohl, denn mit politischen Kampfbegriffen wird mittlerweile in derart inflationärer Weise um sich geschmissen, dass ich nicht auf einen Disclaimer verzichten kann: Nein, ich bin kein Rechter und war es nie gewesen, ich bin ein im klassischen Sinne Linker, der sich für die Emanzipation ökonomisch und politisch Benachteiligter gegen die stets wachsende Übermacht potenter ökonomischer Akteure einsetzt, die durch Konzentrations- und Akkumulationsprozesse im globalen Maßstab riesige Mengen an Kapital und damit auch Einfluss angesammelt haben. Ich kritisiere jegliche Form von Machtmissbrauch und die darauf fußenden Ausbeutungsverhältnisse, sei es im Kleinen, wie etwa im Betrieb, sei es im Großen, wie etwa das gewissenlose Ausschlachten von Rohstoffen in Ländern der sog. Peripherie im Dienste ökonomischer Interessen aus dem sog. Zentrum. Neben einer grundsätzlich humanistischen Grundeinstellung, die ausnahmslos jedem Menschen (sogar Herrn Lauterbach) die Fähigkeit und das Bestreben nach einer positiven Entwicklungsrichtung zugesteht, die leider nur allzuoft durch äußere Umstände  limitiert wird und daher zu allerlei Erkrankungen oder Störungen führt, habe ich auch eine grundsätzlich pazifistische Einstellung: Meinungsverschiedenheiten und Interessenkonflikte, seien sie sozialer, nationaler oder internationaler Dimension, können und müssen prinzipiell ohne die Ausübung physischer Gewalt ausgehandelt werden.

Wenn links zu rechts wird

Okay, ich bin ein Linker im klassischen Sinne. Aber das kann heutzutage schnell als rechts gedeutet werden, denn vieles, was aktuell unter dem Begriff des Linken firmiert, bedient klassisch rechte Inhalte. Da wäre zuerst einmal der Kotau vor globalen Konzernen und finanz-übersättigten Oligarchen, der spätestens seit der Coronakrise augenfällig wurde: Plötzlich war der betrügerische und ausbeuterische Pfizer-Konzern so etwas wie ein Weltenretter, mit dem Staaten auch gerne mal sittenwidrige Verträge abschließen durften. Oder Multimilliardäre, die trotz ihrer Fantastilliarden an Vermögen kräftig profitierten und sich dafür sogar wie Bill Gates in der Tagesschau feiern lassen durften. Der Einfluss von Bill Gates, George Sorros oder Ted Turner auf nationale Exekutiven war in obszöner Weise riesig und gemessen an der nicht vorhandenen demokratischen Legitimation schlichtweg ein Fiasko. Wenn massenhaft angehäuftes Kapital politische Gestaltungsmacht ermöglicht, ist das in steinzeitlicher Wiese rechts, antidemokratisch und unsozial. Trotzdem wurde diesen Leuten zugejubelt, ebenso den von Staatsgeldern aufgepäppelten sog. NGOs und Stiftungen wie NTI, CGI, Rockefeller Foundation, Wellcome Trust, GAVI oder CEPI – allesamt Körperschaften, die durch ihre schiere Finanzmacht hochpotente politische Akteure sind, ohne jedwede demokratische Legitimation. Ihre gigantischen finanziellen Mittel sind nicht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis solider wirtschaftlicher Handlungen im großen Maßstab, sprich von Ausbeutung und Umverteilung von unten nach oben. Links ist das nicht, im Gegenteil, trotzdem wurde den Steinzeitkapitalisten gehuldigt, was das Zeug hielt.

Die Übermacht der Exekutive

Ähnlich verhält es sich mit dem Verhältnis zum Staatsapparat. Während klassische Linke darin noch (eher zutreffend) den kapitalistischen Überbau, also die politisch-strukturelle und mit Machtmitteln ausgestaltete Organisationsform der kapitalistischen Gesellschaftsformation sah, gestehen Zeitgeistlinke dem Staatsapparat prinzipiell einen weitreichenden Vertrauensvorschuss bei entsprechender Machtverfestigung zu. Von Checks an Balances, von Gewaltenteilung oder dem Phänomen einer Fundamentalopposition (was angesichts der politischen Nähe von Ampelkoalition und CDU eher ein Kinderspiel ist) hält man nicht viel aufseiten der woken Neulinken, sie präferieren den führungsstarken Staat – und damit ein klassisch rechtes Projekt. Dieser starke Staat darf denn auch auf vergleichsweise unpolitischem Terrain so etwas wie Vielfalt schützen, also die Vielfalt der Religionen, Hautfarben, Ernährungsweisen, Frisuren oder geschlechtsanaloger Identifikationsformen. Bei genuin politischen Artikulationsformen hört die neulinke Vielfalt aber schnell wieder auf, da werden reihenweise Diskurse verengt, die Meinungsfreiheit eingeschränkt, das Sagbare massiv reduziert und vor allem eines: Verbote gefordert und der politische Willensbildungsprozess durch die massenmediale Formung der Deutungshoheit unter Mitwirkung erstaunlich staatsnaher Medien und das damit verbundene Mobilisierungspotenzal des Staatsapparates massiv eingeschränkt. Klar, zur Arithmetik des Machterhalts zählt auch das Bekämpfen der Opposition, doch sobald dafür unlautere Methoden, wie etwa der Missbrauch des staatlichen Gewaltmonopols, eingesetzt werden, geht es zwangsläufig an die Substanz demokratischer Prinzipien.

Kriegstreiberei, Aggression und politisch-militärischer Komplex

Nächstes Beispiel: Bellizismus und Militarisierung. Seit dem Ukrainekrieg profilieren sich die Ampelparteien und ihre christkonservative Pseudo-Opposition als Kriegstreiber und Aufrüster. Hunderte Milliarden an Steuergeldern werden in die Rüstungsindustrie und die Ukraine gepumpt, parallel dazu findet eine beispiellose Propagandakampagne mit überbordender Kriegsrhetorik statt. Das Handeln der neu- oder besser pseudolinken Bundesregierung in Sachen Internationaler Beziehungen spielt sich nur marginal unterhalb der Schwelle einer offiziellen Kriegserklärung gegen die Atommacht Russland ab, während sich zeitgleich eine erschreckende Unterwürfigkeit gegenüber den geopolitischen Interessen der US-amerikanischen Neocons zeigt. Das offensichtliche Desinteresse der Bundesregierung an der Aufklärung der Terroranschläge gegen die Nord-Stream-Pipelines, ihre beinahe schon achselzuckende Hinnahme, spricht insbesondere vor jenem Hintergrund Bände, als die USA zu den größten Profiteuren dieses historisch bisher größten Anschlags auf die europäische Energieinfrastruktur gehören. Zusammengefasst: Bewaffnung, Hochrüstung, Militarisierung und untertäniges Buckeln vor dem mächtigen Hegemon haben wenig mit echten linken Haltungen wie Entspannungspolitik, Pazifismus und Emanzipation vor ausbeuterischen Kräften zu tun. Diese Dinge findet man eher auf der rechten Seite des Spektrums.

Demokratieentleerung im Alltag

In dieser Gemengelage wundert es nicht, wenn die chronisch erfolglose Bundesregierung, die gegen die Interessen eines Großteils der Bevölkerung anregiert und damit in ziemlich undemokratischer Weise den Willen des republikanischen Souveräns ignoriert, sich mit aller Gewalt an der Macht zu halten und die gefährliche Konkurrenz versucht. Sie tut dies in trauter Einigkeit mit einem Großteil der sog. Leitmedien, also des politisch-massenmedialen Komplexes, der noch immer über eine veritable Mobilisierungskraft verfügt. So lassen sich Skandale lancieren („Wannseekonferenz“) und in Zusammenarbeit mit regierungsnahen Verbänden ebenso regierungsnahe Demonstrationen für den guten Zweck organisieren. Dass unter dem propagandistischen Deckmantel der wehrhaften Verteidigung der Demokratie bei genauerem Hinsehen im Grunde das Gegenteil geschieht, nämlich die immer weitere Aushöhlung der demokratischen Substanz, geht im Gefühlstaumel der Massenmobilisierung viel zu schnell unter.

Um wieder zurück zu meiner Eingangsfrage zu kommen, ob es tatsächlich Not tut zu betonen, ein Linker zu sein: Als ich neulich von den Ereignissen rund um den AfD-Parteitag in Essen hörte, den ein Aktionsbündnis zu verhindern versuchte, und dessen Sympathisanten Politiker der Partei z.T. durch die Stadt gejagt und in Läden eingekesselt hatten, müssten jedem, der es Ernst mit der Demokratie meint, die Haare zu Berge stehen. Eine Partei an der Ausübung ihrer parteirechtlichen Pflichten hindern zu wollen, auch wenn man deren Politik radikal ablehnt (was durchaus verständlich ist), ist ein demokratiefeindliches Ansinnen, nicht mehr und nicht weniger. Fast zur gleichen Zeit haben es die sog. Omas gegen Rechts per Petition geschafft, dass die AfD ein Konto bei der Berliner Volksbank verliert. Ihr Gejubel kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass damit an einem weiteren Grundpfeiler der demokratischen Willensbildung gesägt wurde: Jeder Wettbewerber muss Zugang zu elementaren Ressourcen haben, um sich politisch artikulieren zu können. Und dazu gehört selbstredend auch ein Bankkonto. Denn was kommt als nächstes? Kein Strom mehr für AfDler, kein Wasser mehr für Veganer, keine Lebensmittel mehr für Impfkritiker? Okay, letzteres hatten wir ja schon fast. Werden irgendwelche Opas gegen Rechts demnächst missliebige Politiker per Petition aus ihren Wohnungen in die Obdachlosigkeit jagen? Mit Demokratie hat so etwas nichts mehr zu tun, und auch über ein Braunhemd lässt sich gut eine Regenbogenbinde streifen.

Hierzu Oskar Lafontaine absolut treffend:

Deutschlands demokratische Mitte ist rechtsextrem und militaristisch (Nachdenkseiten v. 15.07.2024)