Am seidenen Faden

So schnell kann’s gehen: Am 15. März kam eine US-Drohne über dem Schwarzen Meer zum Absturz. Als Grund wurde zunächst das „unsichere und unprofessionelle“ Abfangen durch zwei russische Kampfflugzeuge genannt. Schnell bezichtigten die USA Russland der illegalen Aggression, da sich die waffenfähige Drohne vom Typ MQ9-Reaper („Sensenmann“) über internationalen Gewässern befunden habe. Doch US-Drohnenflüge über dem Schwarzen Meer und insbesondere nahe der Krim sind Alltag in diesem Luftraum und dienen dem Sammeln von Aufklärungsdaten im Ukrainekrieg. Doch die USA denken nicht daran, diese aus russischer Sicht feindlichen Aktivitäten einzustellen. Und so bleibt die bange Frage nach dem Eskalationspotenzial dieser militärischen Praxis. Einem Eskalationspotenzial zwischen zwei Atommächten, deren Beziehung sich derzeit auf einem historischen Tiefpunkt befindet.

Choreografie der Eskalation

Es ist der 11. März. Von Polen aus fliegt ein atomwaffenfähiger US-Bomber des Typs B-52 durch den schwedischen, dann finnischen Luftraum in den Finnischen Meerbusen hinein, rast mit über 700 km/h direkt auf die zweitgrößte Stadt Russlands zu und dreht erst kurz vor Erreichen der russischen Insel Gogland, keine 200 Kilometer von der Metropole St. Petersburg entfernt, scharf ab. Kurz: Mit diesem Flugmanöver simulieren die USA einen Atomangriff auf die Stadt St. Petersburg. Eine beispiellose Provokation und Machtdemonstration in einem ohnehin bereits hochgradig aufgeheizten Konflikt, der zurzeit als Stellvertreterkrieg in der Ukraine ausgetragen wird.

Wenig Tage später dann der Vorfall mit der Kriegsdrohne, der ein hochbrisantes Aufeinandertreffen von Kriegsgerät zweier verfeindeter Nuklearmächte darstellt. Ob Kollision oder Abschuss, russische SU-27 Kampfjets hatten die Drohne über internationalem Luftraum schwer beschädigt, so dass US-Streitkäfte die flug- und manövrierunfähige Drohe zum Absturz brachten – dies übrigens vom deutschen US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein aus.

Der eingeleitete Absturz des immerhin 56,5 Mio $ teuren Kriegsgeräts war auch dem Umstand geschuldet, dem Feind nicht die darin eingesetzte hochsensible Technologie inklusive der eingesetzten Software (und der gesammelten Geheimdaten) in die Hände fallen zu lassen. Wie es aussieht, hat Russland jedoch bereits mit Bergungsversuchen der Wrackteile begonnen, um Informationen über den Stand der von den USA eingesetzten Technik zu erhalten.

Derweil erklärte US-Kriegsminister Lloyd Austin, die Aufklärungsflüge im Schwarzen Meer fortsetzen zu wollen und sich dabei völlig legal im Internationalen Luftraum zu bewegen. Stellen wir uns an dieser Stelle einfach nur mal vor, Russland ließe regelmäßig waffenfähige Drohnen im Internationalen Luftraum vor der US-Küste Aufklärungsflüge durchführen…

Drohgebärden vor dem großen Krieg?

Nun ist spricht der zeitliche Zusammenhang zwischen der bisher beispiellosen US-amerikanischen Bedrohung St. Petersburgs und dem Abfangen der US-Drohne für eine militärische Antwort Russlands auf die Provokation der USA. Gleichzeitig setzen die USA ihre permanenten Drohnenflüge im Schwarzen Meer fort, wenn auch mit ein wenig mehr Abstand zur Küste der Halbinsel Krim. Bedenkt man, dass die USA dort bereits seit Mitte 2022 mit Drohnen und auch Flugzeugen präsent sind, scheint der Abfang eben dieser Drohne einiges an Symbolwert zu besitzen.

Sicher hätte es sich auch um einen zufälligen Vorfall handeln können, der angesichts der Häufigkeit US-amerikanischer Drohnenflüge in diesem Gebiet nicht unwahrscheinlich wäre. Die derzeitige Verdichtung der Ereignisse spricht jedoch für eine Art der Kommunikation mit militärischen Mitteln – um ein martialisches Waffengefuchtele, das die Eskalation zum ausgeweiteten Krieg mit dem großen Besteck auf europäischem Boden auch auf der Kalkulationsliste stehen hat.

Offensichtlich war man in Washington anschließend bemüht, die Eskalation nicht bis auf die Spitze zu treiben, und spielte die Angelegenheit ein wenig herunter. Man gestand Russland zu, nicht mit Absicht gehandelt zu haben und zog auch einen Pilotenfehler in Betracht. Verlautbarungen, die im Kontext der hochgefährlichen Drohkulisse für den Versuch sprechen, die Wogen erst einmal zu glätten.

Dessen ungeachtet schreiten die osteuropäischen Vasallen der USA auf ihrem strickten Konfrontationskurs gegen Russland weiter voran. Im Anschluss an den Abfang der Drohne sagte der polnische Präsident Andrzej Duda die Lieferung von MiG-29-Kampfjets an die Ukraine zu, die Slowakei zog daraufhin nach. Großbritannien bietet derweil an, die fehlenden polnischen Kampfjets per Ringtausch ersetzen zu wollen. Es dürfte also nur eine Frage der Zeit sein, bis sich auch die opportunistische Bundesregierung an der neuerlichen Eskalationsstufe im Stellvertreterkrieg beteiligt.

Schon längst Kriegspartei

In den wohlfeilen Diskussionen in Politik und Medien wird hierzulande zu beschwichtigen versucht: Natürlich sei man noch keine Kriegspartei gegen Russland, selbst das Liefern von Kampfjets sei noch kein aktiver Eintritt in einen Krieg. Die Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Boden, Kriegsführung aus Ramstein, Schützenpanzer, Kampfpanzer, dann Kampfflugzeuge: Portionsweise erhöht man die Dosis eines Giftes in der stillen Hoffnung, alles werde schon irgendwie gutgehen – und übersieht im verengten Blickwinkel von Groupthink, Moralismus und Propaganda, dass man die tödliche Dosis schon längst überschritten hat. Schließlich wird die Entscheidung über den Status einer Kriegspartei nicht von einer transatlantisch geprägten Journaille oder weltfremden Kriegshetzern der Ampelkoalition getroffen, sondern letzen Endes vom Kreml.

Ereignisse wie jene rund um die zum Absturz gebrachte Drohne zeigen mit erschütternder Deutlichkeit, wie sehr der „Frieden“ in Westeuropa am seidenen Faden hängt.

Titelbild: U.S. Air Force photo by Paul Ridgeway, Public domain, via Wikimedia Commons, Wikimedia Commons: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/33/MQ-9_Reaper_-_090609-F-0000M-777.JPG