Seit einem Jahr greift ein verfassungsrechtlich fragwürdiges Gremium der Exekutiven tief in die Grundrechte ein. Noch nie seit Bestehen der Bundesrepublik wurden bürgerliche Freiheiten in einem derartigen Ausmaß zusammengestrichen – und das ohne Parlamentsbeteiligung. Faktisch handelt es sich hier um den politischen Modus von Autokratien oder totalitären Regimen.
Theoretisch sind Grundrechtseinschnitte an hohe Hürden gebunden. Sie müssen einem verfassungsrechtlich legitimen Zweck dienen und auch geeignet sein, diesen Zweck zu erreichen. Sie müssen zwingend erforderlich sein, es darf also kein milderes Mittel existieren, das zum gleichen Ergebnis führen würde. Auch müssen sie angemessen und verhältnismäßig sein, es herrscht das Übermaßverbot.
Will die Exekutive Grundrechte beschneiden, muss sie das in einer besonders sorgsamen und verantwortungsvollen Weise tun: Unterschiedliche und umfangreiche Expertisen müssen eingeholt, Kollateralschäden müssen wissenschaftlich abgeschätzt und gegen die erwarteten Zielen abgewogen werden. Es muss transparent und exakt geprüft werden, ob nicht mildere Mittel ebenso zielführend wären. Es muss das Parlament einbezogen und evidenzbasiert, demokratisch und nach bestem Wissen entschieden werden.
Nicht so die Bundesregierung, Eine sorgsame, demokratische und evidenzbasierte Abwägung hat in den Exekutivrunden nie stattgefunden. NIE. Grundrechte wurden zu einer variablen Manövriermasse degradiert, in der nach Gutsherrenart herumgewerkelt wird.
Merkels inszenierter Rückzieher nach ihrer abenteuerlichen „Osterruhe“ zeigt anschaulich, auf welche Weise Bundes- und Landesregierungen mit den Leitnormen dieses Landes umgehen: Da wird willkürlich herumdilettiert, nach Tagesform oder Alkoholpegel entschieden, der Kaffeesatz gelesen oder vielleicht auch einfach gewürfelt.
Gleichzeitig scheint sich ein fatales „Groupthink“ in den abgeschotteten Exklusivcliquen eingeschlichen zu haben. Denn diese haben nicht nur jeden Kontakt zur Lebenswirklichkeit verloren, sonder auch zur Wissenschaftlichkeit: In fast schon esoterischer Manier werden Entscheidungen getroffen, von denen man irgendwie annimmt, so könnten irgendwas bewirken.
Eine Rolle beim Orakeln spielen dabei auch die aktuell vorherrschenden Sündenböcke. So hat Merkel nach ihrem Osterdebakel Mallorcaurlauber als Feinbild entdeckt und lässt fleißig prüfen, ob man diesen Bösewichten nicht das Reisen verbieten kann. Evidenz und Wissenschaftlichkeit? Kein Bedarf. Ein Bundesregierung im Sandkastenmodus.
Mit dem Geist des Grundgesetzes hat dieses unwürdige Schauspiel jedenfalls nichts mehr zu tun. Auch die bitteren Lehren aus der deutschen Geschichte scheinen diesen Leuten mittlerweile völlig fremd zu sein.
Fest dürfte stehen, dass dieser Umgang mit Demokratie, Rechtsstaat und Grundrechten mehr als verantwortungslos ist. Denn offener kann man die Ablehnung der normativen Grundlagen der Bundesrepublik kaum mehr ausdrücken.