Der russische Außenminister Sergej Lawrow sprach heute das erste Mal explizit von der realen Gefahr eines Dritten Weltkrieges. Der Ukraine-Konflikt sei ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA (samt ihrer Vasallen in der EU), und mit jeder weiteren NATO-Waffenlieferung, insbesondere schwerer Waffen, verwandelten sich europäische Länder sukzessive in Kriegsparteien.
Derweil feiert der Bellizismus hierzulande eine glorreiche Wiedergeburt, wobei es vor allem Politiker der ehemaligen Friedenspartei Die Grünen sind, die besonders lautstark die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine fordern und mit infantiler Eskalationsthetorik nicht nur weiteres Öl in den Konflikt gießen, sondern sich fleißig an der aktiven Vorbereitung eines Dritten Weltkrieges beteiligen.
Damit befinden sie sich mittendrin im unheilvollen Zeitgeist nach der Zeitenwende, der nicht arm an endzeitlichen Elementen ist. „Kiew ist das Herz eines freien und demokratischen Europa“ , tönte unlängst EU-Ratspräsident Charles Michel und prophezeite einen siegreichen Krieg gegen Russland. Ähnlich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, für die die Ukraine nicht nur für gemeinsame europäische Werte kämpft, sondern auch für den „Kampf der Demokratien gegen Autokratien“ steht. Sicher kann man ihr angesichts der massiven Entrechtungen im Zuge der Coronakrise fehlenden Realitätssinn attestieren, verbal hat sie jedoch gemeinsam mit anderen europäischen Spitzenpolitikern Fakten geschaffen und die Union zur Kriegspartei erklärt.
Allerdings ist der Ukraine-Konflikt nicht vom Himmel gefallen, sondern militärischer Kumulationspunkt einer Jahre zurückreichenden geopolitischen Entwicklung. Ihre Wegmarken waren die ungezügelte NATO-Osterweiterung , die Maidan-Proteste, der vom Westen geförderte Sturz des gewählten Präsidenten Viktor Janukowitsch sowie der Beginn des ukrainischen Bürgerkrieges gegen den russisch orientierten Osten des Landes unter US-Vasall Petro Poroschenko.
Überall also mit dabei: die Interessen der USA, der Meisterin illegaler Angriffskriege. Ob Irak, Libyen, Jugoslawien, Afghanistan oder Panama – die kriegerische Offensive war schon immer probates Mittel der US-amerikanischen Außenpolitik. Trotz (oder vielleicht auch wegen) dieser Kriege stehen die USA am Verlust ihrer globalen Hegemonie und im Angesicht einer neuen bipolaren Blockbildung mit Russland und China.
Es ist genau diese geopolitische und historische Entwicklung, die sich derzeit in der Ukraine zuspitzt – und sie ist ein blinder Fleck, da sie in der westlichen Wahrnehmung keine Rolle spielt, von der man nichts wissen will. Lawrow hat recht, wenn er diesen Krieg als Stellvertreterkrieg bezeichnet. Ein lokaler Krieg, der schnell in eine direkte Konfrontation globaler Supermächte münden kann, sollten die Beteiligten nicht zur Vernunft kommen.
Daran ist beim allgegenwärtigen Kriegsgeschrei und der Diffamierung des Pazifismus als putinfreundlichem Sektierertum (die „Debatte“ zur Kritik an Coronamaßnahmen lässt grüßen) kaum zu denken. In einem von moralischer Überheblichkeit aufgeheizten Kadavergehorsam überbieten sich Politik und Medien geradezu in eskalierender Aggressionsrhetorik.
Thanatos nannte Freud in Anlehnung an die griechische Mythologie jenen Todestrieb, der dem lebenserhaltenden Eros entgegensteht. Wie es scheint, hat Thanatos die individuelle Ebene transzendiert und sich so kollektiviert. Nach zwei Jahren Coronakrise sind fast alle Roten Linien zugunsten einer zivilisatorischen Autodestruktion gefallen. Das Race to Graves hat begonnen, es findet im Blindflug statt.