Die Ostpolitik der Ampel ist ein Desaster. Der Entwurf einer Außenpolitik, die in selbstbewusst-kritischer Kooperation mit Russland und den USA ein gemeinsames Eurasien ermöglichen könnte, ist endgültig Vergangenheit. Die Bundesregierung hat sich entschieden: Für die Rolle des Vasallen der USA und damit für die Abhängigkeit von einem Land, das seine globale Hegemonialstellung seit jeher mit einer ausgesprochen aggressiven und kriegerischen Außenpolitik durchzusetzen pflegt.
Doch das politische Personal der Ampel biedert sich dem Hegemon förmlich an: Da ist eine Außenministerin, die Russland ruinieren möchte und ein Kanzler, der triumphierend verkündet, kein einziger von Putins Plänen sei aufgegangen. Ein Kanzler, der in seiner jüngsten Regierungserklärung von einem Westen spricht, der die Herausforderung angenommen und von einer Bundesregierung, die gemeinsam mit ihren Freunden und Partnern die Ukraine finanziell, humanitär und militärisch entschlossen unterstützt habe. Hinter solchen Aussagen verbirgt sich eine tiefe politische wie psychologische Abhängigkeit von den Machteliten der USA und dem angeschlossenen militärisch-industriellen Komplex. Aus ihr resultiert eine irrationale Vasallentreue bis hinein in die (nationale) Selbstzerstörung.
Altkanzlerin Merkel und das „Fake-Abkommen“ von Minsk
Auch Angela Merkel, auf deren Mit-Betreiben das Minsker Abkommen von 2014 zustande gekommen war, distanziert sich heute von dieser friedensstiftenden Vereinbarung. Nicht das Streben nach Frieden in der Ukraine und der Abbau internationaler Spannungen seien die Ziele gewesen, sondern Zeitgewinn für die Aufrüstung der ukrainischen Armee. So brüskierte die Altkanzlerin, die im Unterschied zum geschichtsvergessenen Amtsinhaber wenigstens einen Hauch von Entspannungspolitik zu praktizieren pflegte, nicht nur den russischen Präsidenten, sondern leistete der Vertrauenswürdigkeit westlicher Zusagen beim östlichen Nachbarn einen Bärendienst.
Allerdings schien das Minsker Abkommen von vornherein unter diesem schlechten strategischen Stern gestanden zu haben. Seine begrüßenswerten Ziele Waffenstillstand, Dezentralisierung plus Schaffung einer föderalen Struktur sowie Autonomieregelungen für die Regionen Donezk und Luhansk, erschienen von Beginn an zum Scheitern verurteilt zu sein. Eine föderale Ukraine konterkarierte schließlich das Interesse der USA an der Schaffung eines hochgerüsteten Frontstaats gegen Russland, wozu es zentralisierter Strukturen und einer streng pro-westlichen Regierung bedurfte. Guérot und Ritz (2022, 126) formulieren dazu: „Und so zeigte sich, dass man dem Minsker Abkommen in Kiew, Berlin und Paris im Februar 2015 hauptsächlich unter dem Druck der militärischen Situation zugestimmt hatte. Man wollte Zeit gewinnen, um die Ukraine militärisch aufzurüsten und die Soldaten nach NATO-Standards zu trainieren.“
Waffen zu Weihnachten
100 Milliarden Euro Sondervermögen – unter diesem irreführenden PR-Ausdruck hatte Kanzler Scholz in einer Regierungserklärung am 27. Februar 2022 eine Umverteilung gigantischer Beträge an Steuergeldern für die Rüstungsindustrie initiiert, die im Juni darauf vom Bundestag beschlossen wurde. Dies war ein Teil jener von Scholz ausgerufenen Zeitenwende, die in der Abkehr von einer Friedens- und Entspannungspolitik und der Hinwendung zu einer umfangreichen militärischen Aufrüstung inklusive aggressiver neo-bellizistischer Höhenflüge den endgültigen Bruch mit den friedenspolitischen Nachkriegstraditionen der BRD besiegelte.
Nun müssen die bereitgestellten Rüstungsmilliarden auch ausgegeben werden. Den Anfang haben der Haushalts- und der Verteidigungsausschuss des Bundestages letzten Mittwoch (14.12.) gemacht und ganze 13 Milliarden Euro für die vorweihnachtliche Einkaufstour bewilligt. 8,3 Milliarden sind dabei für den Kauf von 35 Tarnkappenbombern des Typs F-35 vorgesehen, die beim US-Hersteller Lockheed-Martin bestellt werden.
Das ist nicht ohne geopolitischen Symbolwert, denn damit hat die Bundesregierung der Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Kampfjets erstmal eine Absage erteilt und das Zepter der deutschen Luftkriegsführung in die Hände des Pentagon gelegt (der F-35 kommuniziert sämtliche Einsatzdaten automatisch dorthin). Schließlich würde eine europäische Entwicklung aus US-Sicht einen Kontrollverlust über die europäischen Streitkräfte bedeuten, was insbesondere den Aspekt der nuklearen Teilhabe (ein makaberer Euphemismus für den Einsatz atomarer Massenvernichtungswaffen) anbelangt. Überhaupt wäre eine autonome europäische Verteidigungspolitik ein Dorn im US-amerikanischen Auge.
Und so verzichtet US-Vasall Deutschland auf die positiven wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Effekte eines gemeinsamen europäischen Kampfjets und legt mal wieder einen Teil seiner Souveränität in die Hände des großen Bruders in Übersee.
Eskalation in Trippelschritten – auch Deutschland macht mit
„Putin hat sich getäuscht: Im Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer. In Europa. In uns und dem Charakter unserer Demokratien. In unserem Willen, uns zu widersetzen gegen Großmachtwahn und Imperialismus.“, so Olaf Scholz in seiner bereits angesprochenen Regierungserklärung. Markige Worte aus den Federn von PR-Spezialisten, die den Feind und seine unlauteren Absichten klar benennen und diesem eine solidarische und wertorientierte Wir-Identität entgegenstellen sollen. Soweit der propagandistische Kern, inhaltlich ist jedoch so gut wie alles falsch.
Ob sich Vladimir Putin getäuscht hat oder nicht, kann nur er selber wissen, soviel vorab. Die russischen Sicherheitsinteressen in Bezug auf die strategische Position der Ukraine und die russische Sicht auf die von westlichen Kräften vorangetriebene innerstaatlichen Entwicklungen dort sind jedoch nicht nur keine Geheimnisse, sondern Gegenstände des taktischen Kalküls von USA/NATO. Dass sich Putin auch in Europa getäuscht habe, verwundert ebenso, da der europäische Teil der Russischen Föderation geografisch eine nicht unerhebliche Fläche des Kontinents ausfüllt und historisch eng mit Teilen des übrigen Europa – und hier insbesondere Deutschland – verbunden ist. Scholz schließt Russland also aus dem Kreis derjenigen Mächte aus, in deren Händen Verantwortung für die politische Gestaltung Europas liegt. Auch hier wieder ein offensichtlicher Realitätsverlust des Kanzlers – oder zumindest die endgültige Abkehr von der Überzeugung, dass ein friedliches und gedeihliches Miteinander in Europa nur mit Russland gestaltet werden kann.
Kommen wir zum Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer. Idealisiert wird so der lang anhaltende, ungebrochene Wille zu Widerstand, Kampf, Entbehrungen und Bedrohungen, was auf den ersten Blick in Teilen tatsächlich zutreffen mag. Auch wenn Russland keinen „Vernichtungskrieg“ gegen die Ukraine führt, sind die Lebensumstände der ukrainischen Bevölkerung physisch, psychisch und ökonomisch oft katastrophal.
Daher muss neben der Frage, ob der russische Einmarsch generell hätte verhindert werden können, um so dringender gefragt werden, ob das Leid der Zivilbevölkerung und der kämpfenden Truppen unnötig in die Länge gezogen wurde und wird. Vieles spricht dafür, dass der Kriegsverlauf durch qualitativ wie quantitativ zunehmende Interventionen des Westens eine Eskalation erfährt, was die Chance auf dringend notwendige Friedensverhandlungen immer weiter gen Null tendieren lässt.
Die militärische Unterstützung der ukrainischen Armee durch die westlichen Alliierten hat mittlerweile ein Ausmaß erreicht, das einem faktischen Kriegseintritt der NATO gegen die Nuklearmacht Russland entspricht. Man könnte daher schon fast von russischem Langmut sprechen, wenn das militärische Engagement des Westens in Moskau zwar sehr aufmerksam beobachtet wird, jedoch auf russischer Seite keine Ausweitung des Konflikts über die anfangs genannten Ziele hinaus zur Folge hat.
Dabei erinnert die Eskalationsstrategie der NATO an spielende Kinder, die mit kleinschrittig gesteigerten Provokationen mögliche Grenzen auszutesten versuchen. Anfang Dezember verübte die Ukraine beispielsweise Luftangriffe auf Ziele weit im russischen Hinterland, wobei wahrscheinlich umgebaute Drohnen zum Einsatz kamen. Die USA erklärten daraufhin, die Ukraine zwar nicht dazu ermuntert, sie jedoch auch nicht davon abgehalten zu haben, was deutlich mehr als eine Botschaft zwischen den Zeilen darstellt, während die Bundesregierung der Ukraine klar das Recht zubilligte, sich auch außerhalb ihrer Landesgrenzen zu „verteidigen“. Die ukrainische Aktion war ein weiterer Schwall Benzin ins Feuer eines kaum berechenbaren internationalen Konflikts und kann, wie wahrscheinlich auch die Mitte November auf polnisches Gebiet fehlgeleitete Abwehrrakete samt der hartnäckigen Schuldzuweisungen von Präsident Selenskij, als ukrainischer Versuch gedeutet werden, die NATO auch offiziell in den Krieg einzubeziehen.
Eine weitere Kriegsbeteiligung Deutschlands erwächst aus der Ausbildung ukrainischer Soldaten auf deutschem Territorium und durch deutsche Kräfte. Schon länger beteiligt sich die BRD an derartigen Programmen, könnte darin aus US-Sicht aber wohl noch tatkräftiger sein. Am 15.12. teilte das US-Verteidigungsministerium mit (auch so ein Euphemismus, da die USA noch nie von einem anderen Land angegriffen worden sind), dass Deutschland eine größere Rolle bei der Ausbildung ukrainischer Soldaten spielen solle. Daher sollen ab 2023 monatlich 500 ukrainische Soldaten auf dem US-Stützpunkt in Grafenwöhr ausgebildet werden – womöglich auch am Flugabwehrsystem PATRIOT.
Mit ihrer Erwägung, dieses komplexe Luftabwehrsystem an die Ukraine auszuliefern, drehen die USA weiter an der Eskalationsschraube, indem sie Russland zum Einsatz schlagkräftigerer Waffensysteme provozieren und sich noch direkter als Kriegspartei zu erkennen geben. Letzteres stellte auch die Sprecherin des russischen Außenministeriums fest, als sie vor einem Einsatz dieser Systeme in der Ukraine warnte.
Ein überflüssiger Stellvertreterkrieg wird in die Verlängerung eskaliert
Nicht, wer zuerst die Waffen ergreift, ist Anstifter des Unheils, sondern wer dazu nötigt. (Niccolo Machiavelli)
Auch über den Jahreswechsel hinaus stehen die Zeichen also weiterhin auf Krieg. Daran arbeitet auch Außenministerin Baerbock fleißig mit, die einen Waffenstillstand von einem kompletten Rückzug der russischen Truppen abhängig machen möchte. „Wenn Putin es will, dann ist dieser Krieg morgen vorbei“, so die Grüne in der Bild am Sonntag. In völliger Ignoranz der geopolitischen Hintergründe und der Geschichte dieses Konfliktes hält sie damit halsstarrig am Propagandanarrativ aus Washington fest und leistet damit ihren persönlichen Beitrag zur Verhinderung von Friedensverhandlungen.
Die Verlängerung und drohende Eskalation des Krieges gemahnen daran, noch einmal an die Hintergründe des Krieges zu erinnern und zu betonen, dass das Leid und Sterben auf dem Brückenkopf zwischen Ost und West mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können. Doch der US-geführte Westen arbeitete zielstrebig an seiner eigenen machtpolitischen Version der Geschichte (Auswahl):
- NATO-Erweiterungen bis direkt an die Grenze Russlands (2004: Rumänien, Lettland, Estland, Litauen, Bulgarien)
- Nichtratifizierung / Kündigung fast aller Abrüstungs- und Rüstungskontrollverträge
- Völkerrechtswidrige Angriffskriege der USA mit ihren Alliierten (z.B. Jugoslawien, Irak)
- Diskussion des NATO-Beitritts der Ukraine und Georgiens auf dem Gipfel in Bukarest 2008 (wurde aufgrund deutscher und französischer Bedenken zunächst vertagt)
- Aufbau des globalen Raketenschilds AEGIS (angriffsfähige Module in Rumänien und Polen zur Absicherung eines nuklearen Erstschlags)
- Regime-Change Versuche im postsowjetischen Raum (Georgien, Moldawien), gelungene Regime-Change-Operation in der Ukraine (verdeckte Staatsstreiche nach dem Muster der „Farbenrevolutionen“)
- Reorganisation der US-Militärstrategie im Sinne der Full Spectrum Dominance (Verknüpfung aller US-Waffengattungen und Streitkräfte mit Ziel einer totalen Überlegenheit im globalen Maßstab)
- Einfrieren des NATO-Russland-Rates mit dem Beginn der Ukraine-Krise 2014 (wobei die Funktion des Rates gerade darin bestand, im Konfliktfalle zu vermitteln)
- Intensivierung eines medialen Informationskrieges gegen Russland (Methode: Abwertung und Dämonisierung des Gegners. In Deutschland besonders eifrig von Medien der Springer-Gruppe praktiziert, wobei drei Journalisten aus diesem Hause ukrainische Verdienstmedaillen erhielten und noch stolz auf die Einseitigkeit ihrer Berichterstattung waren.)
- Nichtumsetzung des Minsker Abkommens
- Durchführung vieler militärischer Aktivitäten unter Beteiligung von NATO-Staaten (hauptsächlich USA, GB, Kanada) in der Ukraine mit dem Ziel der Bündnisfähigkeit des ukrainischen Militärs (seit 2014).
- 24.03.2021: Verabschiedung einer ukrainischen Militärstrategie zur Wiedereingliederung der Krim und der Donbas-Republiken (Dekret des Präsidenten der Ukraine Nr. 117/2021)
- März 2021: Militärmanöver „Defender Europe 21“ mit 28.000 Soldaten in unmittelbarer Nähe zur Ukraine
- Mai / Juni 2021: Gemeinsames Militärmanöver mit Streitkräften aus der Ukraine und NATO-Staaten (Steadfast Defender 2021)
- Juni / Juli 2021: Gemeinsames Militärmanöver „Sea Breeze“ im Schwarzen Meer unter Führung der USA und der Ukraine
- Juli 2021: Gemeinsames Militärmanöver „Cossack Mace“ von GB und Ukraine. Ankündigung Großbritanniens einer Ausbildungsinitiative für die ukrainische Marine.
- Bekräftigung einer künftigen Mitgliedschaft der Ukraine auf dem NATO-Gipfeltreffen in Brüssel (14. Juni 2021)
- September 2021: Militärmanöver „Rapid Trident 2021“ von USA und Ukraine
- September 2021: Veröffentlichung einer Erklärung über die strategische Partnerschaft von USA und Ukraine
- 08. Dezember 2021: Erklärung von Ukraine und GB als „NATO Enhanced Opporunities Partners“ in einem gemeinsamen Communiqué
- 14. Dezember 2021: Verabschiedung eines Gesetztes zur Zulassung bewaffneter Einheiten anderer Staaten auf dem Gebiet der Ukraine als Vorbereitung für geplante NATO-Manöver imm Jahr 2022
- 07. Februar 2022: Erklärung des ukrainischen Außenministers Kuleba anlässlich einer Pressekonferenz mit Annalena Baerbock, keinen Dialog mehr mit den osturkrainischen Separatisten mehr führen zu wollen, was das Minsker Abkommen offiziell begrub.
Ende letzten Jahres übersandte RUS den USA einen Vertragsentwurf, der die Wahrung von Sicherheitsgarantien rechtsverbindlich festlegen sollte und zahlreiche Vorschläge zur Regelung der beiderseitigen Interessen beinhaltete. Auch wenn nicht alle Punkte zustimmungsfähig gewesen sein mochten, so hätten sie doch die Grundlage für Verhandlungen in einem sich immer weiter zuspitzenden Konflikt sein können. Weder NATO noch US-Administration sind auf die russische Initiative eingegangen. Im Gegenteil.
Literatur: Guérot, Ulrike und Ritz, Hauke: Endspiel Europa. Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist – und wie wir wieder davon träumen können. Frankfurt am Main, 2022.