27. März 2023

Die bösartige Unbekümmertheit des Karl Lauterbach

Wie naiv kann ein Berufspolitiker sein? Wie bösartig? Oder bedingt sich beides sogar? Karl Lauterbach hat mit seiner Aussage, wir seien mit Putin im Krieg, mal wieder für Verblüffung gesorgt. Obwohl, vor dem Hintergrund der fachlichen Qualitäten anderer Bundesminister reiht sich seine getwitterte Äußerung fast schon harmonisch in eine Kette aus fortgeschrittenem politischen Dilettantismus ein. Man merkt zwar auf, nimmt es im Grunde nur noch langmütig zur Kenntnis. So tief sind die Erwartungen an die aktuelle Bundesregierung bereits gefallen, dass man diesem in historischem Ausmaß inkompetenten Personal beinahe schon alles zutraut. Selbst die Kriegserklärung an eine Nuklearmacht – aus Versehen.

Gut, um eine Kriegserklärung handelte es sich bei Karl Lauterbachs Tweet nicht. Dafür jedoch um die Bewertung der Lage aus Sicht eines Regierungsmitgliedes, also einen quasi-offiziellen Akt. Denn entgegen aller Beteuerungen des ministerialen Pharmalobbyisten ist sein Twitter-Account keineswegs Medium privater Äußerungen. Eine Trennung zwischen Amt und Privatperson gibt es bei an die Öffentlichkeit gerichteten kommunikativen Akten eines Bundesministers schlichtweg nicht. Anzunehmen ist daher, dass Lauterbach mindestens gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht, aller Wahrscheinlichkeit nach aber gegen das Mäßigungsgebot für Beamte verstoßen hat. Was bei Herrn Lauterbach mit Blick auf seine außerordentliche Nähe zur Pharmaindustrie sicher nicht das erste Mal gewesen wäre. Stichwort institutionelle Korruption.

Abseits einer beamtenrechtlichen Einordnung offenbart sich als eigentlich brisantes Element die ministeriale Bewertung der Bundesrepublik als einem Land, das mit Russland im Krieg steht. Eine Frage, die nicht weniger als die unmittelbare Existenz von Millionen Europäern betrifft, zumal der Ukraine-Konflikt als Stellvertreterkrieg zwischen USA/NATO und Russland die Welt und insbesondere Europa in die unmittelbare Nähe eines Atomkrieges gerückt hat. Insofern kann Lauterbachs Tweet als regressiv-kindliche Entäußerung einer subjektiven Weltwahrnehmung gedeutet werden, die in gewisser Weise der zunehmend enthemmten Kriegsrhetorik vieler Politiker und Journalisten Rechnung trägt.

Heiße Kriege (gemeint sind in erster Linie solche des symmetrischen zwischenstaatlichen Typs, ohne an dieser Stelle auf Kriegstypologien näher eingehen zu wollen)  brechen nicht von jetzt auf gleich über eine Region herein. Sie bedürfen langfristiger Interessenkonstellationen, dann einer gezielten politischen Rhetorik, bevor sie meist in die lauwarme Phase der ökonomischen Auseinandersetzung (Sanktionen iwS.) übergehen. Im (noch) Kalten Krieg erfolgt zudem die Mobilisierung der Bevölkerung gegen den Gegner durch Methoden propagandistischen Massenmanipulation (Tipp hierzu: die Arbeiten von Prof. Rainer Mausfeld; auf YouTube sind zum Einstieg viele Vorträge zu finden, z.B. hier; FS). Mit zunehmender Intensität des Konfliktes erhält die Rhetorik einen Spin, der mit der Eskalation korrespondiert und diese in einem wechselseitig dynamischen Verhältnis weiter befeuert. Kurz, der Krieg breitet sich zunächst  kommunikativ in den Köpfen von Politik, Funktionsträgern und Bevölkerung aus, wird in seiner heißen Form wahrscheinlicher, fassbarer und letztlich alternativloser, bevor er schließlich mit Waffengewalt ausgetragen wird.

Nun mag man an der Person Karl Lauterbach mit einiger Berechtigung psychopathologische Züge erkennen. Unstrittig ist jedoch seine hochgradig opportunistische und karrierefixierte Haltung, seine an Inhumanität grenzende Skrupellosigkeit im Umgang mit Menschen und seine – sagen wir es vorsichtig – Skepsis gegenüber Elementen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Es handelt sich also keineswegs um das kindliche Nachplappern eines bellizistischen Zeitgeistes, sondern vielmehr um eine zielgerichtete Handlung, sich ebendiesem  Zeitgeist musterschülerhaft anzudienen. Und das ohne Rücksicht auf Schäden oder Verluste.

Nichts Neues bei Karl Lauterbach, könnte man meinen. Fassungslos macht indes die Unbekümmertheit, die fehlende Fähigkeit zur Selbstreflexion, mit der das Regierungsmitglied Lauterbach einer fragilen internationalen Konfliktlage einen weiteren eskalierenden Impuls verleiht. Fassungslos mach auch, wie sehr Kriegsrhetorik im Kopf eines Ministers Fuss gefasst hat und instrumentell verwendet wird. Dass dazu nicht nur eine gehörige Portion Naivität, sondern auch Bösartigkeit gehört, liegt auf der Hand.

Möglicherweise war es ihm selbst gedämmert, vielleicht hatten ihn auch vernünftigere Berater darauf hingewiesen, jedenfalls ruderte Lauterbach nach einem moderaten öffentlichen  und kollegialen Aufhorchen zurück und relativierte seine Aussage. Auch nichts Neues bei Herrn Lauterbach, der bereits in der Corona-Krise mit zahlreichen Behauptungen aufgefallen war, die sich im Nachhinein als falsch, völlig übertrieben oder absichtlich gelogen herausgestellt hatten. Es spricht für den desolaten Zustand der Bundespolitik, dass ausgerechnet er in ein Ministeramt erhoben wurde. Allerdings befindet er sich dort in guter Gesellschaft.

Bleibt der unschöne Beigeschmack, mal wieder ein Regierungsmitglied erlebt zu haben, das ein weiteres Mal seine fehlende Eignung für ein Regierungsamt unter Beweis gestellt hat und spätestens jetzt entlassen werden müsste, bevor es noch mehr Schäden – diesmal auch auf dem Terrain internationaler Beziehungen – anrichtet. Dass Bundeskanzler Scholz auch hierzu keine Silbe verloren hat, zeigt einmal mehr, dass es unter seine Ägide tatsächlich keine roten Linien mehr gibt.

Nachtrag (16.10.): Unten eine kleine Satire zum Thema.